Sollte die EU mit Gegenzöllen auf digitale Services reagieren, wird es für deutsche Unternehmen teuer. Zu groß ist die Abhängigkeit von den US-Hyperscalern. GAlexS – shutterstock.com Was passiert, wenn die US-Cloud-Dienste morgen wegfallen? Weil etwa die EU auf die US-Strafzölle mit Gegenzöllen auf digitale Dienstleistungen reagiert. Cloud-Dienste wie AWS, Microsoft Azure oder Google Cloud könnten drastisch teurer oder regulatorisch eingeschränkt werden. Diese Frage hat sich Tobias von der Heydt, Geschäftsführer von Prior1, einem auf die Planung und den Bau von Serverräumen und Rechenzentren spezialisierten Unternehmen, gestellt. Und er kommt zu einem vernichtenden Ergebnis: Der plötzliche Verlust oder die Verteuerung zentraler Cloud-Infrastrukturen würde Deutschland ins Mark treffen. So digital verwundbar ist Deutschland Tobias von der Heydt, Geschäftsführer von Prior1, geht der Frage nach, wie es um Deutschlands digitale Souveränität bestellt ist. Prior 1 Was das für Deutschland konkret bedeutet, veranschaulicht der Geschäftsführer an zwei Zahlenbeispielen: Es müssten 1.200 MW zusätzliche RZ-Leistung gebaut werden und es würden 40 Exabyte Speicher fehlen. Um diese Lücken zu schließen, wären Milliarden-Investitionen erforderlich. Von der erforderlichen Zeit im überbürokratisierten Deutschland – in dem Genehmigungszeiten von fünf Jahren schon als schnell gelten – noch gar nicht geredet. Doch auf dem Weg zur digitalen Souveränität hakt es in Deutschland noch an mehr Ecken, wie von der Heydt analysiert hat. So ist Frankfurt mit über 1.050 MW installierter IT-Leistung zwar Europas führender Rechenzentrumsstandort und blickt auf eine Wachstumspipeline von bis zu 1,3 GW. Doch das Wachstum stößt an Grenzen: 82 Prozent der Netzanschlusskapazitäten sind bereits ausgelastet, neue Projekte benötigen Direktanschlüsse ans Übertragungsnetz. Dabei dauern Stromanschlüsse in Frankfurt laut McKinsey oft drei bis fünf Jahre – ein erheblicher Wachstumsengpass. Die US-Dominanz Fast 72 Prozent der europäischen Cloud-Kapazitäten stellen die US-Hyperscaler bereit. Caureem – shutterstock.com Die US-Anbieter kontrollieren 65 bis 72 Prozent der europäischen Cloud-Kapazitäten. Zudem stellen sie 85 Prozent der GPU-Kapazitäten für KI-Anwendungen bereit. Damit sind sie ein zentraler Faktor für datengetriebene Dienste. Die Hyperscaler AWS, Microsoft und Google betreiben allein in Deutschland mehr Infrastruktur als alle europäischen Anbieter zusammen. Deutschlands RZ-Landschaft In Deutschland sind rund 2.000 Rechenzentren mit mindestens 50 kW IT-Leistung aktiv. Die größten Cluster befinden sich in Frankfurt, Berlin, München, dem Rheinland und Hamburg. Außerhalb dieser Hotspots fehlt es häufig an der Energieinfrastruktur, was den Ausbau neuer Standorte verzögert. Das fehlt zur digitalen Autarkie Ohne die US-Clouds müsste Deutschland kurzfristig rund 1.200 Megawatt zusätzliche IT-Anschlussleistung kompensieren. Das entspricht rund 40 Prozent der aktuellen Gesamtkapazität von 2.700 Megawatt, die vor allem in Frankfurt, Berlin und dem Rheinland konzentriert ist. Um digital autark zu werden, müsste Deutschland 1.200 MW an Rechenleistung neu bauen. Lukasz Pawel Szczepanski – shutterstock.com Auch beim Speicherbedarf klafft eine enorme Lücke: Laut Borderstep Institute und AWS würde ein Wegfall der US-Hyperscaler eine Versorgungslücke von mindestens 40 Exabyte hinterlassen – vor allem bei datenintensiven Cloud- und KI-Anwendungen. Europäische Anbieter könnten diese Kapazitäten kurzfristig nicht bereitstellen. Hinzu kommt: Der Ausbau neuer Rechenzentren wird durch langwierige Genehmigungen, fehlende Energieinfrastruktur und Flächenengpässe massiv behindert. Fehlende Cloud-Dienste Noch gravierender wäre bei einem Zollstreit um digitale Services der Ausfall spezialisierter Dienste: Rund 80 bis 90 Prozent der KI-Recheninfrastruktur in Deutschland – insbesondere GPU-Cluster für Machine Learning – entfallen auf US-Hyperscaler wie AWS, Microsoft Azure und Google Cloud. Europa verfügt laut Geopolitique.eu lediglich über vier Prozent der globalen KI-Kapazitäten. 70 Prozent liegen dagegen in den USA – davon 80 Prozent in den Händen amerikanischer Hyperscaler. Auch die meisten KI-Anwendungen deutscher Unternehmen basieren auf US-Diensten. Noch deutlicher ist die Abhängigkeit im High-Performance-Computing: Zwei Drittel der HPC-Dienste für Industrie und Forschung in Deutschland laufen über Azure und AWS. Abhängige KRITIS Der schnelle RZ-Ausbau scheitert hierzulande auch an der Energieversorgung. Alexey Krav – shutterstock.com Energieversorgung, Gesundheitswesen, Finanzsektor, öffentliche Verwaltung und Industrie sind in hohem Maße auf US-Cloud-Infrastrukturen angewiesen – etwa für Smart Grids, digitale Gesundheitsanwendungen, Zahlungssysteme oder Verwaltungsdatenbanken. Laut dem Atlantic Council nutzen zentrale Sektoren wie Energie, Gesundheit und Finanzen cloudbasierte Systeme zur Steuerung kritischer Prozesse. Im Energiesektor etwa basieren Smart Grids auf cloudgestützten Plattformen für Netzüberwachung und Lastmanagement. Der Ausfall solcher Dienste hätte unmittelbare Folgen: Laut CyberTheory drohen binnen Stunden massive Störungen – etwa durch den Ausfall cloudbasierter Zahlungssysteme wie TARGET2 im Finanzbereich oder die Instabilität intelligenter Stromnetze. Die Erfahrung eines globalen IT-Ausfalls 2024 zeigt: Bereits temporäre Unterbrechungen führen zu Produktionsstopps, Flugausfällen und geschlossenen Supermärkten. Auch die öffentliche Verwaltung wäre betroffen: Trotz Projekten wie der Deutschen Verwaltungscloud liegen viele Daten weiter in Public Clouds. Digitale Katasterämter oder Steuerdatenbanken laufen oft auf US-Infrastruktur – der Exit ist technisch und organisatorisch komplex. Was tun? Theoretische Kapazitätslücken sind laut von der Heydt das eine – die Frage, wie schnell und unter welchen Bedingungen sie realistisch geschlossen werden könnten, sei dagegen weit komplexer. Der Neubau eines hochverfügbaren Rechenzentrums dauert in Deutschland, so rechnet der Geschäftsführer vor, im Schnitt 18 bis 24 Monate – vom Grundstückskauf über Genehmigungen bis zur Inbetriebnahme. Im Notfall ließen sich modulare Containerlösungen innerhalb von sechs bis neun Monaten errichten. Diese eigneten sich jedoch eher für kleinere Edge-Lösungen. Fehlende Ressourcen Doch auch an anderer Stelle mangelt es in Deutschland. So fehlen aktuell rund 149.000 IT-Fachkräfte – bis 2040 dürfte diese Lücke auf über 660.000 anwachsen, wenn nicht gegengesteuert wird. Der Aufbau neuer RZ-Kapazitäten scheitert zudem laut von der Heydt oft an der Verfügbarkeit von Transformatoren, Notstrom-Anlagen und Spezialkühlung – viele dieser Komponenten unterliegen internationalen Lieferketten mit mehrmonatigen Vorlaufzeiten. Milliarden Investitionsbedarf Die Errichtung zusätzlicher 1.200 MW IT-Kapazität würde – je nach Standort, baulicher Ausführung und technischer Ausstattung – Investitionen zwischen 14,4 und 24 Milliarden Euro erfordern. Colocation-Rechenzentren liegen aktuell bei durchschnittlich 12 Millionen Euro pro Megawatt. Hochspezialisierte Hyperscale-Zentren mit AI-Fokus können bis zu 20 Millionen Euro pro Megawatt kosten. Politik gefordert Angesichts dieser Herausforderungen sieht von der Heydt die Politik gefordert: Sie müsse die digitale Souveränität zur Priorität machen. Dazu gehört für ihn eine rechtliche Einstufung von Rechenzentren als kritische Infrastruktur ebenso wie ein beschleunigter Regulierungsrahmen für Planung und Bau. Stufenplan entwerfen Ferne sei digitale Souveränität kein binärer Zustand, sondern ein strategisches Ziel mit Zwischenschritten. Kurzfristig gelte es, kritische Abhängigkeiten transparent zu machen und durch Multi-Cloud-Strategien, Notfallpläne und gezielte Migration zu entschärfen. Mittelfristig müssen für von der Heydt Rechenzentrums- und Cloud-Kapazitäten europaweit verdichtet und gezielt gefördert werden – etwa durch beschleunigte Genehmigungen, strategische Netzausbauprojekte und eine engere Verzahnung von Industrie, Staat und Energieversorgern. Langfristig brauche Europa eine eigene, skalierbare Daten- und KI-Infrastruktur – technologisch souverän, regulatorisch abgesichert, geopolitisch resilient. Resilienz ist kein Luxus An die Unternehmen appelliert der Geschäftsführer, auch mit dem Ausfall der digitalen Systeme zu kalkulieren. Zudem sollten sie ihre Abhängigkeiten von US-Anbietern offenlegen, bewerten und gezielt reduzieren. Lösungen hierzu könnten etwa Multi-Cloud-Strategien, die Migration kritischer Systeme zu europäischen Providern und Notfallpläne für Rechenzentrums- und Cloud-Ausfälle sein. Unter dem Strich müsse die IT-Diversifikation in Entwicklung, Hosting und Beschaffung nicht nur als Sicherheitsfaktor, sondern auch als strategischer Wettbewerbsvorteil begriffen werden.
Digitale Souveränität: Geht es auch ohne AWS und Co.?
Sollte die EU mit Gegenzöllen auf digitale Services reagieren, wird es für deutsche Unternehmen teuer. Zu groß ist die Abhängigkeit von den US-Hyperscalern. GAlexS – shutterstock.com Was passiert, wenn die US-Cloud-Dienste morgen wegfallen? Weil etwa die EU auf die US-Strafzölle mit Gegenzöllen auf digitale Dienstleistungen reagiert. Cloud-Dienste wie AWS, Microsoft Azure oder Google Cloud könnten drastisch teurer oder regulatorisch eingeschränkt werden. Diese Frage hat sich Tobias von der Heydt, Geschäftsführer von Prior1, einem auf die Planung und den Bau von Serverräumen und Rechenzentren spezialisierten Unternehmen, gestellt. Und er kommt zu einem vernichtenden Ergebnis: Der plötzliche Verlust oder die Verteuerung zentraler Cloud-Infrastrukturen würde Deutschland ins Mark treffen. So digital verwundbar ist Deutschland Tobias von der Heydt, Geschäftsführer von Prior1, geht der Frage nach, wie es um Deutschlands digitale Souveränität bestellt ist. Prior 1 Was das für Deutschland konkret bedeutet, veranschaulicht der Geschäftsführer an zwei Zahlenbeispielen: Es müssten 1.200 MW zusätzliche RZ-Leistung gebaut werden und es würden 40 Exabyte Speicher fehlen. Um diese Lücken zu schließen, wären Milliarden-Investitionen erforderlich. Von der erforderlichen Zeit im überbürokratisierten Deutschland – in dem Genehmigungszeiten von fünf Jahren schon als schnell gelten – noch gar nicht geredet. Doch auf dem Weg zur digitalen Souveränität hakt es in Deutschland noch an mehr Ecken, wie von der Heydt analysiert hat. So ist Frankfurt mit über 1.050 MW installierter IT-Leistung zwar Europas führender Rechenzentrumsstandort und blickt auf eine Wachstumspipeline von bis zu 1,3 GW. Doch das Wachstum stößt an Grenzen: 82 Prozent der Netzanschlusskapazitäten sind bereits ausgelastet, neue Projekte benötigen Direktanschlüsse ans Übertragungsnetz. Dabei dauern Stromanschlüsse in Frankfurt laut McKinsey oft drei bis fünf Jahre – ein erheblicher Wachstumsengpass. Die US-Dominanz Fast 72 Prozent der europäischen Cloud-Kapazitäten stellen die US-Hyperscaler bereit. Caureem – shutterstock.com Die US-Anbieter kontrollieren 65 bis 72 Prozent der europäischen Cloud-Kapazitäten. Zudem stellen sie 85 Prozent der GPU-Kapazitäten für KI-Anwendungen bereit. Damit sind sie ein zentraler Faktor für datengetriebene Dienste. Die Hyperscaler AWS, Microsoft und Google betreiben allein in Deutschland mehr Infrastruktur als alle europäischen Anbieter zusammen. Deutschlands RZ-Landschaft In Deutschland sind rund 2.000 Rechenzentren mit mindestens 50 kW IT-Leistung aktiv. Die größten Cluster befinden sich in Frankfurt, Berlin, München, dem Rheinland und Hamburg. Außerhalb dieser Hotspots fehlt es häufig an der Energieinfrastruktur, was den Ausbau neuer Standorte verzögert. Das fehlt zur digitalen Autarkie Ohne die US-Clouds müsste Deutschland kurzfristig rund 1.200 Megawatt zusätzliche IT-Anschlussleistung kompensieren. Das entspricht rund 40 Prozent der aktuellen Gesamtkapazität von 2.700 Megawatt, die vor allem in Frankfurt, Berlin und dem Rheinland konzentriert ist. Um digital autark zu werden, müsste Deutschland 1.200 MW an Rechenleistung neu bauen. Lukasz Pawel Szczepanski – shutterstock.com Auch beim Speicherbedarf klafft eine enorme Lücke: Laut Borderstep Institute und AWS würde ein Wegfall der US-Hyperscaler eine Versorgungslücke von mindestens 40 Exabyte hinterlassen – vor allem bei datenintensiven Cloud- und KI-Anwendungen. Europäische Anbieter könnten diese Kapazitäten kurzfristig nicht bereitstellen. Hinzu kommt: Der Ausbau neuer Rechenzentren wird durch langwierige Genehmigungen, fehlende Energieinfrastruktur und Flächenengpässe massiv behindert. Fehlende Cloud-Dienste Noch gravierender wäre bei einem Zollstreit um digitale Services der Ausfall spezialisierter Dienste: Rund 80 bis 90 Prozent der KI-Recheninfrastruktur in Deutschland – insbesondere GPU-Cluster für Machine Learning – entfallen auf US-Hyperscaler wie AWS, Microsoft Azure und Google Cloud. Europa verfügt laut Geopolitique.eu lediglich über vier Prozent der globalen KI-Kapazitäten. 70 Prozent liegen dagegen in den USA – davon 80 Prozent in den Händen amerikanischer Hyperscaler. Auch die meisten KI-Anwendungen deutscher Unternehmen basieren auf US-Diensten. Noch deutlicher ist die Abhängigkeit im High-Performance-Computing: Zwei Drittel der HPC-Dienste für Industrie und Forschung in Deutschland laufen über Azure und AWS. Abhängige KRITIS Der schnelle RZ-Ausbau scheitert hierzulande auch an der Energieversorgung. Alexey Krav – shutterstock.com Energieversorgung, Gesundheitswesen, Finanzsektor, öffentliche Verwaltung und Industrie sind in hohem Maße auf US-Cloud-Infrastrukturen angewiesen – etwa für Smart Grids, digitale Gesundheitsanwendungen, Zahlungssysteme oder Verwaltungsdatenbanken. Laut dem Atlantic Council nutzen zentrale Sektoren wie Energie, Gesundheit und Finanzen cloudbasierte Systeme zur Steuerung kritischer Prozesse. Im Energiesektor etwa basieren Smart Grids auf cloudgestützten Plattformen für Netzüberwachung und Lastmanagement. Der Ausfall solcher Dienste hätte unmittelbare Folgen: Laut CyberTheory drohen binnen Stunden massive Störungen – etwa durch den Ausfall cloudbasierter Zahlungssysteme wie TARGET2 im Finanzbereich oder die Instabilität intelligenter Stromnetze. Die Erfahrung eines globalen IT-Ausfalls 2024 zeigt: Bereits temporäre Unterbrechungen führen zu Produktionsstopps, Flugausfällen und geschlossenen Supermärkten. Auch die öffentliche Verwaltung wäre betroffen: Trotz Projekten wie der Deutschen Verwaltungscloud liegen viele Daten weiter in Public Clouds. Digitale Katasterämter oder Steuerdatenbanken laufen oft auf US-Infrastruktur – der Exit ist technisch und organisatorisch komplex. Was tun? Theoretische Kapazitätslücken sind laut von der Heydt das eine – die Frage, wie schnell und unter welchen Bedingungen sie realistisch geschlossen werden könnten, sei dagegen weit komplexer. Der Neubau eines hochverfügbaren Rechenzentrums dauert in Deutschland, so rechnet der Geschäftsführer vor, im Schnitt 18 bis 24 Monate – vom Grundstückskauf über Genehmigungen bis zur Inbetriebnahme. Im Notfall ließen sich modulare Containerlösungen innerhalb von sechs bis neun Monaten errichten. Diese eigneten sich jedoch eher für kleinere Edge-Lösungen. Fehlende Ressourcen Doch auch an anderer Stelle mangelt es in Deutschland. So fehlen aktuell rund 149.000 IT-Fachkräfte – bis 2040 dürfte diese Lücke auf über 660.000 anwachsen, wenn nicht gegengesteuert wird. Der Aufbau neuer RZ-Kapazitäten scheitert zudem laut von der Heydt oft an der Verfügbarkeit von Transformatoren, Notstrom-Anlagen und Spezialkühlung – viele dieser Komponenten unterliegen internationalen Lieferketten mit mehrmonatigen Vorlaufzeiten. Milliarden Investitionsbedarf Die Errichtung zusätzlicher 1.200 MW IT-Kapazität würde – je nach Standort, baulicher Ausführung und technischer Ausstattung – Investitionen zwischen 14,4 und 24 Milliarden Euro erfordern. Colocation-Rechenzentren liegen aktuell bei durchschnittlich 12 Millionen Euro pro Megawatt. Hochspezialisierte Hyperscale-Zentren mit AI-Fokus können bis zu 20 Millionen Euro pro Megawatt kosten. Politik gefordert Angesichts dieser Herausforderungen sieht von der Heydt die Politik gefordert: Sie müsse die digitale Souveränität zur Priorität machen. Dazu gehört für ihn eine rechtliche Einstufung von Rechenzentren als kritische Infrastruktur ebenso wie ein beschleunigter Regulierungsrahmen für Planung und Bau. Stufenplan entwerfen Ferne sei digitale Souveränität kein binärer Zustand, sondern ein strategisches Ziel mit Zwischenschritten. Kurzfristig gelte es, kritische Abhängigkeiten transparent zu machen und durch Multi-Cloud-Strategien, Notfallpläne und gezielte Migration zu entschärfen. Mittelfristig müssen für von der Heydt Rechenzentrums- und Cloud-Kapazitäten europaweit verdichtet und gezielt gefördert werden – etwa durch beschleunigte Genehmigungen, strategische Netzausbauprojekte und eine engere Verzahnung von Industrie, Staat und Energieversorgern. Langfristig brauche Europa eine eigene, skalierbare Daten- und KI-Infrastruktur – technologisch souverän, regulatorisch abgesichert, geopolitisch resilient. Resilienz ist kein Luxus An die Unternehmen appelliert der Geschäftsführer, auch mit dem Ausfall der digitalen Systeme zu kalkulieren. Zudem sollten sie ihre Abhängigkeiten von US-Anbietern offenlegen, bewerten und gezielt reduzieren. Lösungen hierzu könnten etwa Multi-Cloud-Strategien, die Migration kritischer Systeme zu europäischen Providern und Notfallpläne für Rechenzentrums- und Cloud-Ausfälle sein. Unter dem Strich müsse die IT-Diversifikation in Entwicklung, Hosting und Beschaffung nicht nur als Sicherheitsfaktor, sondern auch als strategischer Wettbewerbsvorteil begriffen werden.
Digitale Souveränität: Geht es auch ohne AWS und Co.? Sollte die EU mit Gegenzöllen auf digitale Services reagieren, wird es für deutsche Unternehmen teuer. Zu groß ist die Abhängigkeit von den US-Hyperscalern. GAlexS – shutterstock.com Was passiert, wenn die US-Cloud-Dienste morgen wegfallen? Weil etwa die EU auf die US-Strafzölle mit Gegenzöllen auf digitale Dienstleistungen reagiert. Cloud-Dienste wie AWS, Microsoft Azure oder Google Cloud könnten drastisch teurer oder regulatorisch eingeschränkt werden. Diese Frage hat sich Tobias von der Heydt, Geschäftsführer von Prior1, einem auf die Planung und den Bau von Serverräumen und Rechenzentren spezialisierten Unternehmen, gestellt. Und er kommt zu einem vernichtenden Ergebnis: Der plötzliche Verlust oder die Verteuerung zentraler Cloud-Infrastrukturen würde Deutschland ins Mark treffen. So digital verwundbar ist Deutschland Tobias von der Heydt, Geschäftsführer von Prior1, geht der Frage nach, wie es um Deutschlands digitale Souveränität bestellt ist. Prior 1 Was das für Deutschland konkret bedeutet, veranschaulicht der Geschäftsführer an zwei Zahlenbeispielen: Es müssten 1.200 MW zusätzliche RZ-Leistung gebaut werden und es würden 40 Exabyte Speicher fehlen. Um diese Lücken zu schließen, wären Milliarden-Investitionen erforderlich. Von der erforderlichen Zeit im überbürokratisierten Deutschland – in dem Genehmigungszeiten von fünf Jahren schon als schnell gelten – noch gar nicht geredet. Doch auf dem Weg zur digitalen Souveränität hakt es in Deutschland noch an mehr Ecken, wie von der Heydt analysiert hat. So ist Frankfurt mit über 1.050 MW installierter IT-Leistung zwar Europas führender Rechenzentrumsstandort und blickt auf eine Wachstumspipeline von bis zu 1,3 GW. Doch das Wachstum stößt an Grenzen: 82 Prozent der Netzanschlusskapazitäten sind bereits ausgelastet, neue Projekte benötigen Direktanschlüsse ans Übertragungsnetz. Dabei dauern Stromanschlüsse in Frankfurt laut McKinsey oft drei bis fünf Jahre – ein erheblicher Wachstumsengpass. Die US-Dominanz Fast 72 Prozent der europäischen Cloud-Kapazitäten stellen die US-Hyperscaler bereit. Caureem – shutterstock.com Die US-Anbieter kontrollieren 65 bis 72 Prozent der europäischen Cloud-Kapazitäten. Zudem stellen sie 85 Prozent der GPU-Kapazitäten für KI-Anwendungen bereit. Damit sind sie ein zentraler Faktor für datengetriebene Dienste. Die Hyperscaler AWS, Microsoft und Google betreiben allein in Deutschland mehr Infrastruktur als alle europäischen Anbieter zusammen. Deutschlands RZ-Landschaft In Deutschland sind rund 2.000 Rechenzentren mit mindestens 50 kW IT-Leistung aktiv. Die größten Cluster befinden sich in Frankfurt, Berlin, München, dem Rheinland und Hamburg. Außerhalb dieser Hotspots fehlt es häufig an der Energieinfrastruktur, was den Ausbau neuer Standorte verzögert. Das fehlt zur digitalen Autarkie Ohne die US-Clouds müsste Deutschland kurzfristig rund 1.200 Megawatt zusätzliche IT-Anschlussleistung kompensieren. Das entspricht rund 40 Prozent der aktuellen Gesamtkapazität von 2.700 Megawatt, die vor allem in Frankfurt, Berlin und dem Rheinland konzentriert ist. Um digital autark zu werden, müsste Deutschland 1.200 MW an Rechenleistung neu bauen. Lukasz Pawel Szczepanski – shutterstock.com Auch beim Speicherbedarf klafft eine enorme Lücke: Laut Borderstep Institute und AWS würde ein Wegfall der US-Hyperscaler eine Versorgungslücke von mindestens 40 Exabyte hinterlassen – vor allem bei datenintensiven Cloud- und KI-Anwendungen. Europäische Anbieter könnten diese Kapazitäten kurzfristig nicht bereitstellen. Hinzu kommt: Der Ausbau neuer Rechenzentren wird durch langwierige Genehmigungen, fehlende Energieinfrastruktur und Flächenengpässe massiv behindert. Fehlende Cloud-Dienste Noch gravierender wäre bei einem Zollstreit um digitale Services der Ausfall spezialisierter Dienste: Rund 80 bis 90 Prozent der KI-Recheninfrastruktur in Deutschland – insbesondere GPU-Cluster für Machine Learning – entfallen auf US-Hyperscaler wie AWS, Microsoft Azure und Google Cloud. Europa verfügt laut Geopolitique.eu lediglich über vier Prozent der globalen KI-Kapazitäten. 70 Prozent liegen dagegen in den USA – davon 80 Prozent in den Händen amerikanischer Hyperscaler. Auch die meisten KI-Anwendungen deutscher Unternehmen basieren auf US-Diensten. Noch deutlicher ist die Abhängigkeit im High-Performance-Computing: Zwei Drittel der HPC-Dienste für Industrie und Forschung in Deutschland laufen über Azure und AWS. Abhängige KRITIS Der schnelle RZ-Ausbau scheitert hierzulande auch an der Energieversorgung. Alexey Krav – shutterstock.com Energieversorgung, Gesundheitswesen, Finanzsektor, öffentliche Verwaltung und Industrie sind in hohem Maße auf US-Cloud-Infrastrukturen angewiesen – etwa für Smart Grids, digitale Gesundheitsanwendungen, Zahlungssysteme oder Verwaltungsdatenbanken. Laut dem Atlantic Council nutzen zentrale Sektoren wie Energie, Gesundheit und Finanzen cloudbasierte Systeme zur Steuerung kritischer Prozesse. Im Energiesektor etwa basieren Smart Grids auf cloudgestützten Plattformen für Netzüberwachung und Lastmanagement. Der Ausfall solcher Dienste hätte unmittelbare Folgen: Laut CyberTheory drohen binnen Stunden massive Störungen – etwa durch den Ausfall cloudbasierter Zahlungssysteme wie TARGET2 im Finanzbereich oder die Instabilität intelligenter Stromnetze. Die Erfahrung eines globalen IT-Ausfalls 2024 zeigt: Bereits temporäre Unterbrechungen führen zu Produktionsstopps, Flugausfällen und geschlossenen Supermärkten. Auch die öffentliche Verwaltung wäre betroffen: Trotz Projekten wie der Deutschen Verwaltungscloud liegen viele Daten weiter in Public Clouds. Digitale Katasterämter oder Steuerdatenbanken laufen oft auf US-Infrastruktur – der Exit ist technisch und organisatorisch komplex. Was tun? Theoretische Kapazitätslücken sind laut von der Heydt das eine – die Frage, wie schnell und unter welchen Bedingungen sie realistisch geschlossen werden könnten, sei dagegen weit komplexer. Der Neubau eines hochverfügbaren Rechenzentrums dauert in Deutschland, so rechnet der Geschäftsführer vor, im Schnitt 18 bis 24 Monate – vom Grundstückskauf über Genehmigungen bis zur Inbetriebnahme. Im Notfall ließen sich modulare Containerlösungen innerhalb von sechs bis neun Monaten errichten. Diese eigneten sich jedoch eher für kleinere Edge-Lösungen. Fehlende Ressourcen Doch auch an anderer Stelle mangelt es in Deutschland. So fehlen aktuell rund 149.000 IT-Fachkräfte – bis 2040 dürfte diese Lücke auf über 660.000 anwachsen, wenn nicht gegengesteuert wird. Der Aufbau neuer RZ-Kapazitäten scheitert zudem laut von der Heydt oft an der Verfügbarkeit von Transformatoren, Notstrom-Anlagen und Spezialkühlung – viele dieser Komponenten unterliegen internationalen Lieferketten mit mehrmonatigen Vorlaufzeiten. Milliarden Investitionsbedarf Die Errichtung zusätzlicher 1.200 MW IT-Kapazität würde – je nach Standort, baulicher Ausführung und technischer Ausstattung – Investitionen zwischen 14,4 und 24 Milliarden Euro erfordern. Colocation-Rechenzentren liegen aktuell bei durchschnittlich 12 Millionen Euro pro Megawatt. Hochspezialisierte Hyperscale-Zentren mit AI-Fokus können bis zu 20 Millionen Euro pro Megawatt kosten. Politik gefordert Angesichts dieser Herausforderungen sieht von der Heydt die Politik gefordert: Sie müsse die digitale Souveränität zur Priorität machen. Dazu gehört für ihn eine rechtliche Einstufung von Rechenzentren als kritische Infrastruktur ebenso wie ein beschleunigter Regulierungsrahmen für Planung und Bau. Stufenplan entwerfen Ferne sei digitale Souveränität kein binärer Zustand, sondern ein strategisches Ziel mit Zwischenschritten. Kurzfristig gelte es, kritische Abhängigkeiten transparent zu machen und durch Multi-Cloud-Strategien, Notfallpläne und gezielte Migration zu entschärfen. Mittelfristig müssen für von der Heydt Rechenzentrums- und Cloud-Kapazitäten europaweit verdichtet und gezielt gefördert werden – etwa durch beschleunigte Genehmigungen, strategische Netzausbauprojekte und eine engere Verzahnung von Industrie, Staat und Energieversorgern. Langfristig brauche Europa eine eigene, skalierbare Daten- und KI-Infrastruktur – technologisch souverän, regulatorisch abgesichert, geopolitisch resilient. Resilienz ist kein Luxus An die Unternehmen appelliert der Geschäftsführer, auch mit dem Ausfall der digitalen Systeme zu kalkulieren. Zudem sollten sie ihre Abhängigkeiten von US-Anbietern offenlegen, bewerten und gezielt reduzieren. Lösungen hierzu könnten etwa Multi-Cloud-Strategien, die Migration kritischer Systeme zu europäischen Providern und Notfallpläne für Rechenzentrums- und Cloud-Ausfälle sein. Unter dem Strich müsse die IT-Diversifikation in Entwicklung, Hosting und Beschaffung nicht nur als Sicherheitsfaktor, sondern auch als strategischer Wettbewerbsvorteil begriffen werden.